Es hatte schon wieder geklingelt. Das neuntemal im Verlauf
der letzten Stunde! Heute hatten, so schien es, die Liebhaber von Klingelknöpfen
Ausgang. Mürrisch rollte ich mich türwärts und öffnete.
Wer, glauben Sie, stand draußen? Sankt Nikolaus
persönlich! In seiner bekannten historischen Ausrüstung. "Oh",
sagte ich. "Der eilige Nikolaus!" - "Der heilige, wenn
ich bitten darf. Mit h!" Es klang ein wenig pikiert. "Als
Junge habe ich Sie immer den eiligen Nikolaus genannt. Ich fand's plausibler."
- "Sie waren das?" - "Erinnern Sie sich denn noch daran?"
- "Natürlich! Ein kleiner hübscher Bengel waren Sie damals!"
"Klein bin ich immer noch." - "Und nun
wohnen Sie also hier." - "Ganz recht." Wir lächelten
resigniert und dachten an vergangene Zeiten.
"Bleiben Sie noch ein bißchen!" bat ich.
"Trinken Sie noch eine Tasse Kaffee mit mir!" Er tat mir,
offen gestanden, leid.
Was soll ich Ihnen sagen? Er blieb. Er ließ sich
herein. Erst putzte er sich am Türvorleger die Stiefel sauber,
dann stellte er den Sack neben die Garderobe, hängte die Rute an
einen der Haken, und schließlich trank der mit mir in der Wohnstube
Kaffee.
"Zigarre gefällig?" - "Das schlag
ich nicht ab." Ich holte die Kiste. Er bediente sich. Ich gab ihm
Feuer. Dann zog er sich mit Hilfe des linken den rechten Stiefel aus
und atmete erleichtert auf. "Es ist wegen der Plattfußeinlage.
Sie drückt niederträchtig." - "Sie Ärmster!
Bei Ihrem Beruf!" - "Es gibt weniger Arbeit als früher.
Das kommt meinen Füßen zupaß. Die falschen Nikoläuse
schießen wie die Pilze aus dem Boden."
"Eines Tages werden die Kinder glauben, daß
es Sie, den echten, überhaupt nicht mehr gibt." - "Auch
wahr! Die Kerls schädigen meinen Beruf! Die meisten von denen,
die sich einen Pelz anziehen, einen Bart umhängen und mich kopieren,
haben nicht das mindeste Talent! Es sind Stümper!" - "Weil
wir gerade von Ihrem Beruf sprechen", sagte ich, "hätte
ich eine Frage an Sie, die mich schon seit meiner Kindheit beschäftigt.
Damals traute ich mich nicht. Heute schon eher. Denn ich bin Journalist
geworden." - "Macht nichts", meinte er und goß
sich Kaffee zu. "Was wollen Sie seit Ihrer Kindheit von mir wissen?"
- "Also", begann ich zögernd, "bei Ihrem Beruf handelt
es sich doch eigentlich um eine Art ambulanten Saisongewerbes, nicht?
Im Dezember haben Sie eine Menge Arbeit. Es drängt sich alles auf
ein paar Wochen zusammen. Man könnte von einem Stoßgeschäft
reden. Und nun ..." - "Hm?" - "Und nun wüßte
ich brennend gern, was Sie im übrigen Jahr tun!"
Der gute alte Nikolaus sah mich einigermaßen verdutzt
an. Er machte fast den Eindruck, als habe ihm noch niemand die so naheliegende
Frage gestellt. "Wenn Sie sich nicht darüber äußern
wollen ..." - "Doch, doch", brummte er. "Warum denn
nicht?" Er trank einen Schluck Kaffee und paffte einen Rauchring.
"Der November ist natürlich mit der Materialbeschaffung mehr
als ausgefüllt. In manchen Ländern gibt's plötzlich keine
Schokolade. Niemand weiß wieso. Oder die Äpfel werden von
den Bauern zurückgehalten. Und dann das Theater an den Zollgrenzen.
Und die vielen Transportpapiere. Wenn das so weitergeht, muß ich
nächstens den Oktober noch dazunehmen. Bis jetzt benutze ich den
Oktober eigentlich dazu, mir in stiller Zurückgezogenheit den Bart
wachsen zu lassen."
"Sie tragen den Bart nur im Winter?" - "Selbstverständlich.
Ich kann doch nicht das ganze Jahr als Weihnachtsmann herumrennen. Dachten
Sie, ich behielte auch den Pelz an? Und schleppte 365 Tage den Sack
und die Rute durch die Gegend? Na also. - Im Januar mache ich dann die
Bilanz. Es ist schrecklich. Weihnachten wird von Jahrhundert zu Jahrhundert
teurer!" - "Versteht sich." - "Dann lese ich die
Dezemberpost. Vor allem die Kinderbriefe. Es hält kolossal auf,
ist aber nötig. Sonst verliert man den Kontakt mit der Kundschaft."
- "Klar." - "Anfang Februar lasse ich mir den Bart abnehmen."
In diesem Moment läutete es wieder an der Flurtür.
"Entschuldigen Sie mich, bitte?" Er nickte. Draußen
vor der Tür stand ein Hausierer mit schreiend bunten Ansichtskarten
und erzählte mir eine sehr lange und sehr traurige Geschichte,
deren ersten Teil ich mir tapfer und mit zusammen-gebissenen Ohren anhörte.
Dann gab ich ihm das Kleingeld, das ich lose bei mir trug, und wir wünschten
einander auch weiterhin alles Gute. Obwohl ich mich standhaft weigerte,
drängte er mir als Gegengeschenk ein halbes Dutzend der schrecklichen
Karten auf. Er sei, sagte er, schließlich kein Bettler. Ich achtete
seinen schönen Stolz und gab nach. Endlich ging er.
Als ich ins Wohnzimmer zurückkam, zog Nikolaus gerade
ächzend den rechten Stiefel an. "Ich muß weiter",
meinte er, "es hilft nichts. Was haben Sie denn da in der Hand?"
- "Postkarten. Ein Hausierer zwang sie mir auf." - "Geben
Sie her. Ich weiß Abnehmer. Besten Dank für Ihre Gastfreundschaft.
Wenn ich nicht der Weihnachtsmann wäre, könnte ich Sie beneiden."
Wir gingen in den Flur, wo er seine Utensilien aufnahm.
"Schade", sagte ich. "Sie sind mir noch einen Teil Ihres
Jahreslaufs schuldig." Er zuckte die Achseln. "Viel ist im
Grunde nicht zu erzählen. Im Februar kümmere ich mich um den
Kinderfasching. Später ziehe ich auf Frühjahrsmärkten
umher. Mit Luftballons und billigem mechanischen Spielzeug. Im Sommer
bin ich Bademeister und gebe Schwimmunterricht. Manchmal verkaufe ich
auch Eiswaffeln in den Straßen. Ja, und dann kommt schon wieder
der Herbst - und nun muß ich wirklich gehen."
Wir schüttelten uns die Hand. Ich sah ihm vom Fenster
aus nach. Er stapfte mit großen, hastigen Schritten durch den
Schnee. An der Ecke Ungerstraße wartete ein Mann auf ihn. Er sah
wie der Hausierer aus, wie der redselige mit den blöden Ansichtskarten.
Sie bogen gemeinsam um die Ecke. Oder hatte ich mich getäuscht?
Eine Viertelstunde danach klingelte es schon wieder. Diesmal erschien
der Laufbursche des Delikatessengeschäftes Zimmermann Söhne.
Ein angenehmer Besuch! Ich wollte bezahlen, fand aber die Brieftasche
nicht gleich. "Das hat ja Zeit, Herr Doktor", meinte der Bote
väterlich. "Ich möchte wetten, daß sie auf dem
Schreibtisch gelegen hat!" sagte ich. "Nun gut, ich begleiche
die Rechnung morgen. Aber warten Sie noch, ich bring' Ihnen eine gute
Zigarre!" Die Kiste mit den Zigarren fand ich auch nicht gleich.
Das heißt, später fand ich sie ebensowenig. Die Zigarren
nicht. Die Brieftasche auch nicht. Das silberne Zigarettenetui war auch
nicht zu finden. Und die Manschettenknöpfe mit den großen
Mondsteinen und die Frackperlen waren weder an ihrem Platz noch sonstwo.
Jedenfalls nicht in meiner Wohnung.
Ich konnte mir gar nicht erklären, wohin das alles
geraten sein mochte. Es wurde trotzdem ein stiller hübscher Abend.
Es klingelte niemand mehr. Wirklich, ein gelungener Abend. Nur irgend
etwas fehlte mir. Aber was? Eine Zigarre? Natürlich! Glücklicherweise
war das goldene Feuerzeug auch nicht mehr da. Denn das muß ich,
obwohl ich ein ruhiger Mensch bin, bekennen: Feuer zu haben, aber nichts
zum Rauchen im Haus, das könnte mir den ganzen Abend verderben!