In einem Vorort von Wien lebten in der hungrigen Zeit
nach dem Krieg zwei nette, alte Damen. Damals war es noch schwer, sich
für Weihnachten einen wirklichen Festbraten zu verschaffen. Und
nun hatte die eine der Damen die Möglichkeit, auf dem Land - gegen
allerlei Textilien - eine wohl noch magere, aber springlebendige Gans
einzuhandeln. In einem Korb verpackt, brachte Fräulein Agathe das
Tier nach Hause. Und sofort begannen Agathe und ihre Schwester Emma
das Tier zu füttern und zu pflegen.
Die beiden Damen wohnten in einem Mietshaus im zweiten
Stock und niemand im Hause wusste, dass in einem der Wohnräume
der Schwestern ein Federvieh hauste, das verwöhnt, gefüttert
und großgezogen wurde.
Agathe und Emma beschlossen feierlich, keinem einzigen
Menschen jeweils davon zu sagen, aus zweierlei Gründen:
Erstens gab es Neider, das sind Leute, die sich keine
Gans leisten können; zweitens wollten die beiden Damen nicht um
die Welt mit irgendeinem der nahen oder weiteren Verwandten die später
möglicherweise nudelfett gewordene und dann gebratene Gans teilen.
Deshalb empfingen die beiden Damen auch 6 Wochen lang,
bis zum 24. Dezember keinen einzigen Besuch. Sie lebten nur für
die Gans.
Und so kam der Morgen des 23. Dezember heran. Es war ein
strahlender Wintertag. Die ahnungslose Gnas stolzierte nichtsahnend
und vergnügt von der Küche aus ihrem Körbchen in das
Schafzimmer der beiden Schwestern und begrüsste sie zärtlich
schnatternd.
Die beiden Damen vermieden es, sich anzusehen. Nicht,
weil sie böse aufeinander waren, sondern nur, weil eben keine von
ihnen die Gans schlachten wollte. "Du musst es tun", sagte
Agathe, sprach's, stieg aus dem Bett, zog sich rasend rasch an, nahm
die Einkaufstasche, überhörte den stürmischen Protest
und verließ in geradezu hässlicher Eile die Wohnung.
Was sollte Emma tun? Sie murrte vor sich hin, dachte darüber
nach, ob sie vielleicht einen Nachbarn bitten sollte, der Gans den Garaus
zu machen, aber dann hätte man einen großen Teil von dem
gebratenen Vogel abgeben müssen. Also schritt Emma zur Tat, nicht
ohne dabei wild zu schluchzen.
Als Agathe nach geraumer Zeit wiederkehrte, lag die Gans
auf dem Küchentisch, ihr langer Hals hing wehmütig pendelnd
herunter. Blut war keines zu sehen, aber dafür alsbald zwei liebe
alte Damen, die sich heulend umschlungen hielten.
"Wie... wie....", schluchzte Agathe, "hast
du es gemacht?" "Mit ... mit...Veronal", wimmerte Emma.
"Ich habe ihr einige deiner Schlaftabletten auf einmal gegeben,
jetzt ist sie ...", schluchzend, " huhh... rupfen musst Du
sie ... huh huh huh...", so ging das Weinen und Schluchzen fort.
Aber weder Emma noch Agathe konnten sich dazu entschließen.
In der Küche stand das leere Körbchen, keine
Gans mehr, kein schnatterndes "Guten Morgen", und so saßen
die beiden eng umschlungen auf dem Sofa und schluchzten trostlos. Endlich
raffte sich Agathe auf und begann, den noch warmen Vogel zu rupfen.
Federchen um Federchen schwebte in einen Papiersack, den
die unentwegt weinende Emma hielt. Und dann sagte Agathe: "Du,
Emma, nimmst die Gans aus" und verschwand blitzartig im Wohnzimmer,
warf sich auf das Sofa und verbarg ihr Gesicht in den Händen. Emma
eilte der Schwester nach und erklärte, es einfach nicht tun zu
können. Und dann beschloss man, nachdem es mittlerweile spät
abend geworden war, das Ausnehmen der Gans auf den nächsten Tag
zu verschieben.
Am zeitigen Morgen wurden Agathe und Emma geweckt. Mit
einem Ruck setzten sich die beiden Damen gleichzeitig im Bett auf und
stierten mit aufgerissenen Augen und offenen Mündern auf die offene
Küchentür. Herein spazierte, zärtlich schnatternd wie
früher, wenn auch zitternd und frierend, die gerupfte Gans.
Bitte, es ist wirklich wahr und kommt noch besser!
Als ich am Weihnachtsabend zu den beiden Damen kam, um
ihnen noch rasch zwei kleine Päckchen zu bringen, kam mir ein vergnügt
schnatterndes Tier entgegen, das ich nur wegen des Kopfes als Gans ansprechen
konnte, denn das ganze Vieh steckte in einem liebevoll gestrickten Pullover,
den die beiden Damen hastig für ihren Liebling gefertigt hatten.
Die Pullovergans lebte noch weitere sieben Jahre und starb
dann eines natürlichen Todes!